
Triggerwarnung: Tod eines Kindes
Über die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und ihre Ergebnisse ist bereits viel geschrieben worden. Wir leben in einer Zeit, in der junge Menschen auf einer Wahlparty der AfD lautstark „Abschiebesongs“ singen, sich Menschen, deren Eltern schutzsuchend nach Deutschland kamen, in Teilen Deutschlands nicht mehr sicher fühlen. Und wo auch Politiker „christlicher“ und „sozialer“ Parteien von „konsequenter Abschiebung“ palavern und damit inmitten realer sozialer Krisen das Narrativ der „bösen Anderen“ bedienen. Wer sagt hierzu klar genug NEIN?
Ich will an dieser Stelle statt berechtigter Argumente gegen nationalistische und rechtsextreme Stimmungsmache einen Text teilen, auf den ich vor wenigen Tagen gestoßen bin. Er hat mich sehr berührt. Autorin ist eine Bloggerin, die als Alleinerziehende, Pflegemutter und „pragmatische Humanistin“ mit ihren Texten immer wieder meine Bewunderung erregt. Ihre weiteren Beiträge findest du hier. Aber lies selbst:
Amanuel
Birte zieht die Decke enger um sich, umklammert ihren Bauch, spürt die Bewegungen des Kindes.
In diesem Moment ist ihr Kind Amanuel, genauso wird Semire ihn gehalten haben auf dem langen Weg, ganz und gar spürt sie Semires unermesslichen Schmerz, die Leere, die Hoffnungslosigkeit.
Sie streichelt ihren Bauch als sei das Urteil über das Ungeborene schon gefällt. Krieg‘ dich ein, mahnt sie sich selbst, so brutale Grenzerfahrungen werden sie und ihr Kind niemals machen, haben doch lebenslanges Wohnrecht in der Festung Europa.
Wenn du das nicht abkannst, kannst du diesen Job für dich abhaken, sagt sie streng zu sich selbst und wird die Bilder im Kopf nicht los.
Erfreut und geehrt hatte sie sich gefühlt, als die stille und abweisende Semire in dem kleinen Kirchenbüro plötzlich angefangen hatte zu sprechen, in drei Sprachen, mit Google-Übersetzer und Handyfotos hatte Semire sie in den Strudel des Grauens gezogen.
Im ewigen Soldatendienst war ihr geliebter Mann umgekommen, es schien nur noch diesen Ausweg zu geben. Verzweifelt und mutig zugleich brach sie heimlich in die Wüste auf. Die kleine Yerusalem hatte sie bei ihrer Cousine in Mendefera zurückgelassen, mit dem Vorsatz sie nachzuholen.
Erst im Sudan hatte sie bemerkt, dass sie schwanger war. Sie überlebte Hunger, Gewalt und sexuelle Übergriffe, bis sie Amanuel in einer Neumondnacht zur Welt gebracht hatte. Er hatte gesund gewirkt, kräftig an der Brust getrunken, aber ein paar Wochen später, noch vor der Fahrt über das Mittelmeer, starb er an irgendwas, kein Arzt hatte ihn gesehen. Von Amanuel gibt es kein Handyfoto, kein Dokument, kein abgeschnittenes Löckchen, ein kleines unscheinbares Gespenst ist er, verloren gegangen in himmelschreiender globaler Ungerechtigkeit.
Birte streichelt ihr Kind, nennt es leise Amanuel und schwört nicht zu ruhen bis sie das Unwahrscheinliche geschafft haben wird, Yerusalem zu ihrer Mama zu holen.
Sie friert noch immer.
Das Wohnrecht in der „Festung Europa“
Viele von uns haben das Glück, über das Wohnrecht in der „Festung Europas“ zu verfügen. Qua Geburt. Es ist kein Verdienst. Aber der Erhalt einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder schützt, unabhängig von Herkunft, finanziellem Status und sogar unabhängig von ihrer politischen Haltung, die dafür sorgt, dass Kinder heute bei uns (meist) nicht mehr ohne Arzt in den Armen ihrer Mütter sterben müssen, die mehr ist als ein zusammengewürfeltes Ensemble von „Anderen“ ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Privileg. Wenn wir sie behalten wollen, müssen wir uns aktiv für sie entscheiden. Immer wieder. Jetzt.
Du willst aktiv werden?
Hier findest du eine Auswahl an Organisationen und (kreativen) Initiativen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für Frauen- und Menschenrechte engagieren. Ergänze gerne weitere Anlaufstellen in den Kommentaren!

Die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt ist seit 1994 bundesweit aktiv, um Jugendliche und Erwachsene mit Workshops, Fortbildungen und interaktiven Ausstellungen für Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit zu sensibilisieren – und sie für die aktive Teilhabe an einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu stärken.

Seit ihrer Gründung 1998 ist es nach eigener Aussage das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Sie fördert bundesweit Initiativen und Projekte in der Jugendarbeit, in der Flüchtlingshilfe und in Demokratieprojekten finanziell, durch Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und kommunale Netzwerke.

„Gesicht Zeigen! für ein weltoffenes Deutschland“ ist ein Verein in Berlin, der sich seit dem Jahr 2000 über Kampagnen, Fortbildungen, Veranstaltungen und Workshops gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzt.

Die Berliner Initiative „Hass hilft“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Hass-Kommentare im Netz in Spenden für Geflüchtete zu verwandeln. Wie das funktioniert, erfährst du hier.

Omas gegen Rechts ist eine seit 2017 bestehende parteiunabhängige Bürgerinitiative, die in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol durch lose organisierte Ortsgruppen in Erscheinung tritt. Die Omas gegen Rechts engagieren sich unter anderem durch Demonstrationen und andere Aktionen gegen Rechtsextremismus und für Toleranz.

Anfang 2024 hat ein Bündnis aus mehreren Nürnberger Verbänden die Kampagne „Frauen gegen Rechts“ gestartet. Sie richtet sich vor allem in den sozialen Medien gegen frauenfeindliche Parolen rechtsextremer Parteien. Zugleich ermutigt sie Frauen, ihre Rechte zu verteidigen.

Die Initiative MütterMachtPolitik hat Mitte 2024 anlässlich der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei denen die AfD jeweils rund 30 Prozent der Stimmen erzielte, die Social-Media-Kampagne #Nicht30Prozent gestartet. Sie setzt sich gegen politische Polemik, Rassismus und Ausgrenzung ein und macht auf Verbände und Initiativen aufmerksam, die sich im Osten Deutschlands gegen Rechts engagieren.

Kein Bock Auf Nazis ist nach eigener Aussage Deutschlands größte unabhängige Jugend-Initiative gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Seit 2006 unterstützt, vernetzt und informiert sie Jugendliche und junge Erwachsene zum Thema Rechtsruck, Rassismus und Neonazis.

Das mecklenburgische Ausstiegsangebot JUMP begleitet junge Menschen dabei, die rechtsextreme Szene hinter sich zu lassen. Es ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Ausstiegsprogramme bundesweit findest du auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.
Herzliche Grüße, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
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[*Foto: Wahlplakat der AfD zur Europawahlkampf 2019, zitiert in einem Artikel des Monopol-Magazins]

Danke für das Weiterverbreiten meines Textes.
Außer alleinerziehende Pflegemutter bin ich auch Kinderkrankenschwester und da hörst du solche ähnlichen Geschichten.
Ich glaube nicht , dass unsere Regierung sich mit ihrem derzeitigen Aktivismus auf Dauer vor dem Problem der globalen Ungerechtigkeit schützen können wird.
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Ja, das glaube ich auch nicht. Probleme lösen sich höchst selten, indem man versucht, sich vor ihnen abzuschotten. Auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene.
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