
Mit Podcast-Interview „Familie bleiben“!
Ende der 1920er Jahre schrieb die Schriftstellerin Virginia Woolf in ihrem berühmten Essay „A room of one’s own“: „A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction.“ – Jede Frau brauche also ein Zimmer für sich allein, wenn sie kreativ sein wolle. Ich ergänze: Jede Mutter besonders. Und erst recht jede alleinerziehende Mutter. Warum ist das Thema „Raum“ für Alleinerziehende besonders wichtig?
Hörtipp: Podcast „Familie bleiben“

Folge „Wohnen und Zusammenleben nach einer Trennung“ (Folge 23), ab sofort überall, wo es Podcasts gibt. Danke, Isabell Lütkehaus, für die Einladung als Expertin und das spannende Gespräch!
Wie viel Raum – und Zeit – hast du für dich?
Ich schreibe diesen Text an einem der raren Abenden, an denen es bereits um halb neun still um mich ist – und zugleich noch sommerlich hell. Mein älterer Sohn übernachtet bei seinem Vater, der andere schläft tief und fest. Es ist ein Moment, in dem ich – unverhofft – ganz bei mir sein, meinen Gedanken nachhängen und sie in Ruhe formulieren kann. Ein kostbares Gut für mich unter den Umständen, unter denen ich lebe.
Nicht umsonst beschäftigen sich ganze Bücher inzwischen mit dem Thema Raum und Zeit (ein Beispiel: Spiegel-Bestseller „Alle Zeit“ von Teresa Bücker). Statistiken vermelden Raumnot und „überbelegte“ Wohnungen, vor allem unter Alleinerziehenden und Familien mit vielen Kindern. Studien zeigen den Zusammenhang zwischen der Möglichkeit, sich – physisch und im übertragenen Sinn – „Raum zu schaffen“ und dem persönlichen Stressempfinden. So nannte eine Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 zu lange Arbeitszeiten, ständigen Termindruck und eine konstant hohe Arbeitsbelastung als Hauptfaktoren für die Entstehung von Stress. Bezeichnenderweise ergab die Befragung, dass nicht erwerbstätige Frauen genauso stark gestresst waren wie erwerbstätige Männer. Die Autor:innen der Studie vermuteten die Ursache in der stärkeren Belastung durch „Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit“.
Daraus lässt sich schließen: Der Mensch ist als soziales Wesen nicht zum Alleinsein geschaffen – und braucht gleichwohl Raum und Zeit für sich, um zu regenerieren und neu aus sich zu schöpfen.
Sich Raum schaffen als Alleinerziehende
Als Alleinerziehende sind wir Meister:innen darin, die Räume unserer Wohnungen, ebenso wie die Freiräume in unserem anspruchsvollen Alltag, so effektiv wie möglich zu nutzen. Mit dem Haken, dass wir zuweilen gar nichts mehr mit uns anzufangen wissen, wenn die Kinder einmal nicht physisch „im Nest“ anzutreffen sind oder wir plötzlich mehr Raum und Zeit als gewohnt zur Verfügung haben.
Diese Atemlosigkeit des Alltags, der fehlende Raum für uns selbst und ganz konkret in Wohnungen oft nicht einmal ein Zimmer, das nur uns gehört, ist einer der Hauptgründe, warum Alleinerziehende häufig gestresster und gesundheitlich belasteter sind als andere Menschen.
Gesellschaftlicher Raum für Familien
Umgekehrt liegt hier aber auch der Ansatzpunkt zu echter Veränderung: von der persönlichen Entscheidung, sich auch als Mutter ohne schlechtes Gewissen den Raum zu nehmen, den wir brauchen und uns – gerade als Alleinerziehende – das entsprechende Netzwerk zu schaffen, das ihn ermöglicht; bis hin zu politischen Beschlüssen, um Wohnraum für Familien bezahlbar zu machen, Städte familien- und mütterfreundlich zu gestalten – und unser Arbeitsumfeld und unsere Gesellschaft im Ganzen so zu formen, dass wir als Mütter endlich echten (Spiel-) Raum für uns und die Menschen, für die wir sorgen, erhalten.
Politische Forderungen wie die 30h-Woche bei vollem Lohnausgleich, autofreie Zonen in Städten sowie Mietpreisbremsen und sozialer Wohnungsbau verbindet ein Ziel: Raum und Zeit zu schaffen, damit wir als Eltern – und insbesondere als Mütter – mit unseren Kindern ein gutes Leben führen können. Insofern sage ich in Analogie zu Virginia Woolf: Als Frau und Mutter brauchst du – ebenso wie als Künstlerin – ein Zimmer für dich, um im Muttersein du selbst bleiben zu können. Wer wir sind, bestimmen auch der Raum, der uns zur Verfügung steht und damit die Lebensumstände, unter denen wir leben. Grund genug, beides ganz genau unter die Lupe zu nehmen!
Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.
Hier könnt ihr unser Buch „Mütter. Macht. Politik“ (erscheint am 01. 09. 2023) vorbestellen:
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[Fotos: Pixabay, Podcast „Familie bleiben“]


Ein Gedanke zu „„Ein Zimmer für mich“ – Was bedeutet das für Alleinerziehende? “