alleinerziehend, Familie

Eltern als Team: Mediatorin und Rechtsanwältin Isabell Lütkehaus über das Wechselmodell

Zwei Buttons „Father“ und „Mother“, davor Curser-Hand mit Satz „I can‘t choose“


Nach einer Trennung gibt es viele Fragen, vor allem, wenn Kinder beteiligt sind. Isabell Lütkehaus berät Paare im Rahmen ihrer Trennung oder Scheidung und hilft ihnen, Lösungen zu finden, mit denen alle Beteiligten gut leben können. „Ich gebe wenig Tipps, weil ich denke, Menschen können ihr Leben am besten selbst regeln. Eltern sind Experten für sich und ihre Kinder“, so die Berliner Rechtsanwältin und Mediatorin. Gerade bei Umgangsfragen kann es jedoch hilfreich sein, eine neutrale dritte Person hinzuzuziehen. Im Gespräch mit mir berichtet Isabell Lütkehaus von ihrer Arbeit als Mediatorin, erklärt, was Kinder im Rahmen einer Trennung stärkt und warum das Wechselmodell gelebte Gleichberechtigung bedeuten kann.

Wie wirken die Paare, die zu dir zur Mediation kommen, auf dich und was ist ihr Anliegen?

Die Paare, die zu mir kommen, eint, dass sie sich nach einer Trennung als Familie finden möchten, den Weg dorthin gemeinsam erarbeiten möchten. Dass sie in aller Regel gut gebildet sind und eher einkommensstark, weil Mediation leider auch immer noch ein Kostenfaktor ist. Und dass sie sich zutrauen, eigene Lösungen für sich als Familie zu finden. Dass Familie für sie ein hohes Gut ist und sie, auch als Vorbild für ihre Kinder, ihre Schwierigkeiten nach einer oft schmerzhaften Trennung überwinden möchten, um die Familie zu erhalten, beziehungsweise sie unter zwei Dächern neu aufzustellen.

Was ist deiner Erfahrung nach hilfreich nach einer Trennung, wenn man sich rasch einigen will, was eher nicht?

Manchmal ist „rasch“ gar nicht so hilfreich, vor allem rasch im Sinn von: eine schnelle Lösung für die nächsten zehn Jahre finden. Was sehr hilfreich ist und viele Paare, die zu mir kommen, entlastet, sind Übergangslösungen. Für die meisten ist das eine neue Situation: Sie sind zum ersten Mal getrennt mit dem Kind, beziehungsweise den Kindern und die Kinder selbst verändern sich ja auch ständig. Zudem weiß der eine vielleicht noch nicht, wo er in Zukunft wohnen wird und der andere nicht, wie es beruflich weitergeht. Das stresst und löst Ängste aus. Da kann es erleichternd sein, zu sagen: wir finden jetzt eine Lösung für die nächsten zwei Monate

Manchmal ist „rasch“ gar nicht so hilfreich, vor allem rasch im Sinn von: eine schnelle Lösung für die nächsten zehn Jahre finden.

Mit frisch getrennten Paaren mache ich manchmal Wochenpläne, gerade, wenn einer von beiden noch so geschockt ist, dass er oder sie noch gar nicht richtig für sich sorgen kann. Es hilft also, Übergangslösungen auszuprobieren und die Mediation als geschützten Raum zu nutzen, um sich anschließend darüber auszutauschen, was gut und was vielleicht nicht so gut lief und wie Vereinbarungen noch besser in den Alltag der getrennten Familie passen können. Zu wissen, wir haben da einen Ort, wo wir offen reden können, entspannt. 

Ich gebe wenig Tipps, weil ich denke, Menschen können ihr Leben am besten selbst regeln, aber einen Tipp geben ich den meisten Trennungspaaren, vor allem denen, die noch zusammenwohnen: Redet nicht über Mediationsthemen zuhause, sondern nutzt dafür die Mediation und entlastet damit das restliche Leben. Besprecht also nicht bei der Übergabe noch schnell den Unterhalt, sondern konzentriert euch bei der Übergabe darauf, das Kind zu übergeben, oder beim Frühstück aufs Frühstücken. Für alles, was anstrengend und problematisch ist, gibt es einen neuen Ort. Das ist enorm entlastend. Und auch zu wissen, wir brauchen jetzt nicht die perfekte Lösung für die nächsten hundert Jahre. Sowieso, zu wissen: es gibt nicht nur eine perfekte Lösung.

In Bezug auf das Wechselmodell: Was sollten Eltern auf jeden Fall klären?

Erst mal sollten Eltern für sich festlegen, dass sie eine gleichberechtigte Elternschaft möchten. Gleichberechtigt in dem Sinn, dass beide Eltern ähnlich viel Zeit mit den Kindern verbringen und ähnlich viel Verantwortung tragen. Und dann ist zu überlegen: Was für eine Art von Wechsel möchten wir, in welchem Intervall? Wöchentlich, täglich, stündlich? Oder alle zwei Wochen? Und, wenn man sich für ein wöchentliches Intervall entscheidet, welcher Wechseltag ist für uns sinnvoll? Außerdem dürfen Eltern überlegen: Was wandert mit dem Kind mit, zum Beispiel die Geige, und was hat jeder Elternteil bei sich im Kinderzimmer oder in der Wohnung? Sinnvoll kann auch sein zu überlegen, wo sind Betreuungslücken und wer kann die schließen, besonders, wenn beide Eltern berufstätig sind? Am besten unterstützt die Familie jemand, der schon vorher da war, um die Kontinuität zu wahren. 

Auch Sorgerechts- und Erziehungsfragen können in der Mediation besprochen werden, damit zum Beispiel kleinere Kinder bei beiden Elternteilen einen ähnlichen Schlaf- und Essensrhythmus haben. Bei größeren Kindern kann man auch Dinge besprechen wie die Mediennutzung oder wann Hobbys ausgeübt werden sollen. Dass das Kind also nicht beim einen am Dienstag in den Schwimmunterricht geht und beim anderen ins Ballett, dass die Eltern versuchen, für das Kind ein Leben und nicht zwei separate Leben zu gestalten.

Eltern sollten wissen, wo sie ihre Grenzen haben. Das gilt auch für gemeinsame Zeit mit dem Kind.

Zwei weitere wichtige Punkte sind die Übergabe und „Zwischendurchkontakte“, während das Kind beim anderen Elternteil ist. Die Übergabe ist sehr sensibel für das Kind, denn da wechselt es von einer Welt zur anderen. Es kann für Eltern gut sein, sich zu überlegen: möchten wir die Übergabe persönlich gestalten, trauen wir uns das zu, oder organisieren wir die Übergabe lieber über Schule, Kita, die Oma – also über einen neutralen dritten Ort. Eltern sollten wissen, wo sie ihre Grenzen haben. Das gilt auch für gemeinsame Zeit mit dem Kind. Es ist toll, wenn das klappt, ob an Weihnachten oder unter dem Jahr beim Pizzaessen, aber wenn es bei gemeinsamen Unternehmungen immer Drama gibt, sollte man das lieber lassen. Außerdem möchten viele Eltern das Thema „Zwischendurchkontakte“ zum anderen Elternteil besprechen. Ist das Kind beim einen Elternteil, darf es den anderen anrufen, darf dieser das Kind anrufen, schickt man sich gegenseitig Fotos? Auch hier kann es sinnvoll sein, sich vorher Gedanken zu machen, wie man das miteinander gestalten möchte. 

Was kann helfen, wenn die Kommunikation zwischen den Eltern noch sehr angespannt ist?

Es hilft immer, herauszufinden, wie die Kommunikation im Moment tatsächlich ist und ob man vielleicht an der ein oder anderen Stelle daran arbeiten kann. Dabei sollte man sich auf die Themen, die direkt das Kind betreffen, konzentrieren. Alles, was zwischen den Eltern zu besprechen ist bezüglich der Paarbeziehung, aber auch in Bezug auf finanzielle Geschichten oder Scheidungsfragen, sollte man ausklammern und in der Mediation klären. Für manche Eltern ist es einfacher, schriftlich zu kommunizieren per WhatsApp oder Email, manche möchten gern mit dem anderen sprechen. Auch hier ist es sinnvoll, einen einvernehmlichen Weg zu finden, dass man zum Beispiel schriftlich kommuniziert, es sei denn, es ist sehr dringlich, dann dürfen beide anrufen. Es sollte ein Weg sein, der für beide erträglich ist. Außerdem muss klar sein, was wirklich tagtäglich besprochen werden muss und was vorher geregelt werden kann. Meine Faustformel ist hier: Je schlechter die Elternbeziehung, desto mehr sollten beide Eltern vorab regeln. So entsteht weniger Raum für spontane Entscheidungen und damit auch für Diskussionen.

Was stärkt deiner Erfahrung nach die Kinder nach einer Trennung?

Die Kinder stärkt Kontinuität, dass sie merken, das Leben als Familie geht weiter, beide Eltern bleiben ihnen in ähnlichem Umfang erhalten wie vor der Trennung. Klar, eine Trennung ist ein Umbruch, die Kinder erleben den Umbruch, aber sie sollten keine Verlustängste haben im Sinn von „Huch, Papa ist ausgezogen: Wohin?“ Deswegen finde ich das Gespräch mit den Kindern über die Trennung auch wichtig, und zwar rechtzeitig, bevor einer auszieht. 

Kinder stärkt Kontinuität, dass sie merken, beide Eltern bleiben ihnen in ähnlichem Umfang erhalten wie vor der Trennung.

Für Kinder ist es am besten, wenn ihre liebevollen Beziehungen erhalten bleiben, auch zu Großeltern, der Patentante oder den Nachbarn, wenn es irgendwie geht. Sie sollten sich weiterhin geborgen fühlen, dann können Kinder auch mit einer Trennung gut umgehen. Ein positives Signal für Kinder ist auch, wenn sie sehen: meinen Eltern ist die Familie so wichtig, dass sie Schwierigkeiten gemeinsam zu überwinden versuchen. Für Kinder ist nicht schlimm, dass die Eltern sich trennen; entscheidend ist vor allem, wie die Eltern sich trennen. Und besser trennen sie sich, als dass sie zusammenbleiben, dabei unglücklich sind und viel streiten. Streit an sich ist auch okay, Kinder müssen auch lernen, dass Menschen streiten. Allerdings kommt es immer darauf an, wie Diskussionen ablaufen und ob Streit zum Beispiel unfair ausgetragen wird oder eskaliert.

In welchen Fällen würdest du das Wechselmodell nicht empfehlen?

Ich halte mich, wie ich bereits sagte, mit Ratschlägen und Tipps während der Mediation zurück, weil ich fest davon überzeugt bin, dass die Eltern Experten für ihre Familie und ihre Kinder sind. Ich bin ergebnisoffen, das heißt, ich arbeite mit den Eltern an ihren Bedürfnissen und Interessen und was am Schluss rauskommt, ist die für sie passende Lösung. Ich rate Eltern also nicht für oder gegen das Wechselmodell, übrigens auch nicht in meinem Buch. Dieses ist eher wechselmodellfreundlich – ich würde wohl nicht über das Thema schreiben, wenn ich komplett dagegen wäre -, aber es gibt Familien, in denen das Modell sehr gut funktioniert und andere, wo dies überhaupt nicht der Fall ist.

Ein Parameter, der für das Wechselmodell spricht, ist, wie gesagt, die Kontinuität, dass also bereits vorher beide Eltern zu etwa gleichen Teilen für das Kind gesorgt haben und sich nicht viel im Alltag der Kinder ändert. Ich habe allerdings auch schon Fälle erlebt, wo in der Beziehung die Mutter hauptsächlich die Kinder betreut hat und mit der Trennung hat der Vater die Hälfte übernommen, weil die Mutter auch wieder arbeiten wollte und musste. Das hat auch funktioniert. Kontinuität muss nicht sein, sagen auch Kinderexperten, aber es ist für Kinder einfacher, wenn sich so wenig wie möglich ändert.

Wenn die Eltern sich in einen Burnout kutschieren, weil sie die Kinder ständig durch die Stadt fahren müssen, passt das Wechselmodell nicht.

Es schadet zudem nicht, wenn die Eltern einigermaßen miteinander klarkommen, aber das gilt für alle Umgangsmodelle. Beim Wechselmodell muss man jedoch auch Alltagsabsprachen treffen, das fällt beim Wochenend-Besuchsmodell eher weg. Es ist hilfreich, wenn die Eltern nah beieinander wohnen, und zumindest bei schulpflichtigen Kindern kann das Wechselmodell im Alltag eigentlich nicht funktionieren, wenn die Wege zu weit sind. Ein Umgangsmodell passt sowieso nur, wenn es im Alltag der Eltern zu bewältigen ist. Wenn die sich in einen Burnout kutschieren, weil sie die Kinder ständig durch die Stadt fahren müssen, passt das Umgangsmodell für die Familie nicht. Es muss alltagstauglich sein. 

Also, was dagegen spricht: wenn das Wechselmodell nicht gut zum Alltag der Eltern und Kinder passt, wenn diese zu weit auseinander wohnen und vielleicht auch, wenn die Verantwortung der Eltern in Bezug auf die Kindererziehung vorher sehr unterschiedlich gewichtet war.

Kannst du mir von einem besonders schwierigen Fall aus deiner Arbeit als Mediatorin berichten, bei dem ihr letztlich doch zu einer Lösung gekommen seid?

Die Frage ist für mich schwer zu beantworten, denn ich mache nicht die Einordnung „schwierig“ oder „nicht schwierig“ in Bezug auf die Anliegen meiner Klienten. Oft kommen Paare zu mir, die sehr harmonisch wirken, in der Sache aber enorm weit auseinanderliegen. Und es gibt Paare, die streiten sich, finden aber ganz schnell eine Einigung. Die Sach- und die Beziehungsebene ist also in aller Regel nicht kongruent. Und ich erlebe oft, dass Paare nach einer sehr schmerzhaften Trennung dennoch gute Lösungen finden. 

Gerade erst hatte ich einen Fall, wo der Mann sich für die Frau völlig überraschend nach einer achtzehnjährigen Beziehung getrennt hat und seine neue Partnerin war sofort schwanger – für die Frau war das extrem schwierig. Und dennoch sind die beiden in Umgangsfragen auf einer Linie. Und das Umgekehrte gibt es auch: Harmonische Trennung, beide sagen „Nee, so nicht mehr!“ und haben neue Partner, aber in Sachen Umgang können sie sich nicht einigen. Schwierig ist oft, wenn neue Partner oder zusätzliche Kinder dazu kommen. Schwierig sind auch Fälle von Paaren, die bereits das Wechselmodell leben und einer ist nicht mehr glücklich damit. Da gibt es selten die Einigung, das Modell für ein anderes aufzuheben, sondern eher, dass die Frequenz oder der Übergabetag geändert wird. 

Ich erlebe oft, dass Paare nach einer sehr schmerzhaften Trennung dennoch Lösungen finden. 

Ansonsten bin ich aber immer wieder beeindruckt, wie die Paare auch relativ frisch nach der Trennung tiefe Verletzungen hinter sich lassen können und ihren Weg finden als Familie. Hierbei helfen eben oft Übergangslösungen. Von diesen sind die Eltern vielleicht gar nicht euphorisch überzeugt, aber dann praktizieren sie sie ein paar Wochen und merken: Ach, das funktioniert ja. Ich kann mich auf den anderen verlassen! Das stärkt die Elternbeziehung, die ja den ersten Rang einnimmt, nachdem die Paarbeziehung Geschichte geworden ist. Und dann einigen sie sich oft auch in den anderen Fragen, die vorher durch die Trennung noch sehr belastet waren. Zu erkennen, das war kein passender Mann, keine passende Frau für mich, aber es ist ein guter Vater oder eine gute Mutter – das erfordert ja eine gewisse Selbstreflexion. Wenn das gelingt, ist es wirklich hilfreich. Mediation hilft dabei auch, nochmal über die Trennung und die Paarebene zu sprechen, ohne zu fragen, wer ist an was schuld, sondern ganz im Gegenteil, um schließlich sagen zu können: Es war nicht alles schlecht, wir haben tolle Kinder, die sind eine Frucht unserer Liebe und damit machen wir jetzt weiter als Familie.

Ich habe riesengroßes Glück, dass ich als Mediatorin und nicht als Rechtsanwältin arbeite, denn ich bin überzeugt, dass es am besten ist, wenn Menschen selbst Lösungen finden, gerade im familiären Kontext. Ich denke, unser Privatleben sollte, wenn möglich, privat bleiben. Gut, dass es Gerichte gibt, aber ich möchte den Menschen so helfen, dass sie selbst eine Regelung finden. Deswegen begleite ich als Mediatorin Paare nur bei einer einvernehmlichen Trennung.

Das Wechselmodell als Standardmodell des Umgangs? Was ist deine Haltung dazu?

Mich erinnert das ein bisschen an die Diskussion um das Sorgerecht vor vielen Jahren. Früher behielt der Vater nicht selbstverständlich das Sorgerecht für die Kinder und als sich das änderte, wurde auch lange diskutiert, welche Gefahren das mit sich bringen könnte. Letztlich ist es heute so, wenn Eltern sich trennen und beide möchten das Sorgerecht behalten, dann machen sie es so. Es ist eigentlich nur eine gesetzliche Vermutung: Es wird schon Sinn machen, dass beide das Sorgerecht haben und wenn jemand etwas anderes will, muss er dagegen vorgehen. 

Das ist ähnlich wie bei der Idee, das Wechselmodell als gesetzlichen Regelfall festzulegen, was vor allem die FDP vertritt. Wenn Eltern sich trennen und sie möchten das Wechselmodell leben, müsste dann keiner etwas unternehmen. Möchte einer kein Wechselmodell, kann er dagegen gerichtlich vorgehen. Das heißt nicht, dass alle Menschen auf der Welt das Wechselmodell aufgedrückt bekommen. Das wird oft ein bisschen durcheinandergebracht. Es geht allein um die Vermutung, dass es für die Kinder sinnvoll sein kann, wenn die Eltern nach der Trennung gleichermaßen in ihrem Leben erhalten bleiben. Ich finde, das kann man diskutieren. Ich selbst habe keine Meinung dazu. Mir ist nur wichtig, dass sich Menschen, die darüber sprechen, informieren und zwischen Meinungen und Ängsten einerseits und Erfahrungen und Tatsachen andererseits unterscheiden. Es ist eine rein prozessliche Frage und es geht gar nicht darum, ob das Wechselmodell für alle gut ist. Wer es nicht gut findet, kann dagegen vorgehen, wer es gut findet, muss nichts machen.

Das Wechselmodell wird ja auch deswegen so heiß diskutiert, weil es dabei um Gleichberechtigung von Mann und Frau geht, um Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und auch um die Chancen von Frauen im Beruf und Männern in der Familie. Es geht also um ganz viele politische und gesellschaftliche Themen. Deswegen hätte es schon eine Signalwirkung, zu sagen, wir gehen davon aus, dass beide Eltern die Kinder gleichermaßen betreuen wollen nach einer Trennung. Bei mir in der Praxis ist das bei 80 Prozent der Fälle so, im Bundesdurchschnitt sind es schätzungsweise 10 Prozent. Ich lebe in Berlin, in einer Großstadt, und zu mir kommen die entsprechenden Paare: studiert, berufstätig und die Väter arbeiten oft von zuhause aus. Da gibt es mehr „neue Väter“ als vielleicht woanders. In Familien, in denen die Frau zuhause war und sich alleine um die Kinder gekümmert hat, entscheiden sich die Eltern vermutlich seltener für das Wechselmodell. 

Das Wechselmodell kann gelebte Gleichberechtigung der Eltern bedeuten.

Ich stelle außerdem fest, dass das auch ein Generationsthema ist, dass jüngere Frauen sogar das Wechselmodell vom Vater fordern. Sie haben keine Angst, dass man ihnen die Kinder wegnimmt, sondern sagen: Ich will arbeiten, ich will auch Spaß haben, und deswegen auch die Hälfte der Zeit ohne Kinder leben. Die definieren sich nicht „nur“ als Mutter, sondern eben auch als berufstätige Frau und als junger Mensch, der mal gern mit Freundinnen ausgeht oder in einer neuen Partnerschaft Zeit verbringen möchte. Und es gibt auch Väter, die sagen: ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern, vielleicht auch, weil die Trennung bei ihnen etwas bewirkt hat. Junge Chefs und Chefinnen sehen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zudem inzwischen oft als zentralen Attraktivitätsfaktor für ihr Unternehmen an und bieten ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, Familie und Beruf zu verbinden. Dieses Verständnis gab es früher nicht. Ein Vater konnte nicht nach Hause gehen, wenn die Kinder krank waren. Er wäre gefragt worden: „Wo ist die Mutter?“ Das hat sich geändert. Es gibt somit ganz andere Spielräume, die auch nach einer Trennung dazu führen können, dass das Modell gleichberechtigte (weiter) Elternschaft weitergelebt wird. Das Wechselmodell an sich bedeutet für beide Eltern grundsätzlich die gleiche Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. Und ja, damit kann es gelebte Gleichberechtigung der Eltern bedeuten.

Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.

Meine Interviewpartnerin

Portrait Dr. Isabell Lütkehaus


Dr. Isabell Lütkehaus ist Mediatorin (BAFM, BM), Rechtsanwältin, Supervisorin und Coach (DGSv). Sie berät Menschen im beruflichen Kontext (Führungskräfte Teams, Mitarbeiter) sowie im privaten Umfeld (Familien, Eltern, Paare). Ihre Vision sind nach ihrer Aussage „eigenverantwortliche, mutige Menschen, die sich – gerade auch in schweren Situationen – auf ihre Stärken besinnen, Verantwortung übernehmen und Handlungsmöglichkeiten erkennen.“ Neben der Beratung in ihrer Berliner Kanzlei ist sie Autorin mehrerer Bücher und gibt regelmäßig Seminare und Workshops für Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams sowie Fortbildungen zu den Themen Mediation, Teamentwicklung, Coaching, Supervision, Verhandlungsführung und Kommunikation.

Weiterlesen?

Isabell Lütkehaus, Thomas Matthäus. Umgang im Wechselmodell. Eine Familie, zwei Zuhause: Gleichberechtigte Eltern bleiben nach Trennung und Scheidung, dtv Beck, 2021.

Isabell Lütkehaus, Thomas Matthäus. Guter Umgang für Eltern und Kinder: Ein Ratgeber bei Trennung und Scheidung, dtv Beck, 2018.

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[Fotos: Titel: Pixabay, Portrait: Isabell Lütkehaus; Interview geführt am 19.05.2021]

9 Gedanken zu „Eltern als Team: Mediatorin und Rechtsanwältin Isabell Lütkehaus über das Wechselmodell“

  1. Das Wechselmodell kann eine gute Sache sein, insbesondere, wenn man sehr nah beieinander wohnt, was aber als sehr ungewöhnlich von außen wahrgenommen werden kann und wo von Aussenstehenden viele Fragen kommen können.
    Ein Wechselmodell fordert Flexibilität aller Beteiligten, man darf es, soweit möglich, insbesondere mit seinem Kind/ern besprechen und nach deren Meinung fragen.
    Die Flexibilität bezieht sich auch auf mögliche Änderungswünsche einer oder mehrerer der Beteiligten.
    Grundsätzlich halte ich eine Beratung im familientherapeutischen Sinn für wichtig, vorher und später punktuell. Es gibt Verbände etc., die so etwas kostenfrei anbieten. Jeder der Beteiligten sollte eine Stimme haben.
    Veränderungen können auch durch die Wünsche neuer Lebenspartner oder Familienzuwachs eintreten oder nötig werden, oder durch Krankheit oder den Beruf.

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  2. Moin!

    Danke für deinen wertvollen Artikel. Es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die sich aktiv mit diesem wichtigen Thema beschäftigen. Das Wechselmodell ist bisher für viele Elternteile ein Wunschtraum. Leider gibt es auch Lücken, die noch geschlossen werden müssen. Hoffentlich ist es eines Tages ein gelebtes Modell nach der Trennung.

    Liebe Grüße

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    1. Danke für den Beitrag, es ist schön, dass es diese Art der Unterstützung gibt. Sich nach einer Trennung gemeinsam um das Kind zu kümmern kann funktionieren, so ist es bei uns glücklicherweise. Es ist aber auch eine emotionale Anstrengung, diese „zwei Leben“ zu verkraften. Das leere Kinderzimmer. Und dann wieder die Anstrengung, den Alltag allein mit Kind zu schaffen. Und immer wieder mit dem Ex-Partner konfrontiert zu sein. Und es werden uns Steine in den Weg gelegt. Nur EIN Elternteil bekommt Steuerklasse 2, der andere wird wie ein Single besteuert und muss trotzdem eine große Wohnung zahlen und Dinge fürs Kind doppelt anschaffen. Der E-Mail Verteiler unserer Schule bedient nur EINE Adresse und wir müssen jedes Schuljahr wieder zehn mal sagen dass wir beide alle Infos erhalten müssen. Das Kind kann nur EINE Meldeadresse haben. Die Busfahrt zur Schule gilt dann nicht von der anderen Adresse. Denn da ist das Kind ja nicht gemeldet. Die Krankenkasse gibt nur EINE Gesundheitskarte aus. Ich könnte noch hundert Beispiele aufzählen. Und ein Satz hat sich mir eingebrannt, der zu mir gesagt wurde: „Ach so, dein Kind ist auch ganz viel bein Vater. Naja. Dann bist du ja nicht richtig alleinerziehend.“
      Ich würde mich immer wieder dafür entscheiden, dass mein Kind beide Elternteile hat. Aber es ist noch ein weiter Weg bis das einfacher und zur Normalität werden kann.

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    2. Liebe Emma,
      danke für deinen persönlichen Kommentar. Ja, die Punkte, die du hier ansprichst, sind wirklich belastend für Eltern, die mit ihren Kindern das Wechselmodell leben wollen. Nicht umsonst gilt es als ziemlich kostspieliges Umgangsmodell. Den großen Vorteil sehe ich darin, dass das Kind/die Kinder einen Alltag mit beiden Eltern (wenn auch abwechselnd) erleben können. Andererseits steht eben bei jedem Wechsel wieder die Umstellung an und wie du sagst, viele rechtliche Bestimmungen unterstützen das Modell noch nicht ausreichend. Hier wünsche ich mir auch die entsprechenden Änderungen, so dass eine echte Wahl möglich ist. In erster Linie aber auch immer mit Blick auf die Bedürfnisse des Kindes/der Kinder, denn ich glaube, auch den Wechsel an sich verkraften nicht alle Kinder gleich. Manchmal ist das Modell vielleicht auch nur für ein bestimmtes Alter, bzw. eine bestimmte Lebensphase, passend. Auch hier wünsche ich mir, z.B. bei Entscheidungen der Familiengerichte, mehr Flexibilität und das Bewusstsein, das, was heute das beste Umgangsmodell für die Familie ist, zwei, drei Jahre später nicht mehr wirklich passend sein kann – und dass dann auch Optionen bestehen, Entscheidungen noch einmal zu überdenken und ggf. zu ändern. Außergerichtlich und bei insgesamt gutem Verhältnis der Eltern ist das ja zum Glück noch eher möglich – und das finde ich, mit Blick auf alle Beteiligten, auch wichtig. Das Leben ist nicht starr und immer gleich – ein Umgangsmodell sollte es deswegen meiner Meinung nach auch nicht sein.
      Herzlichen Gruß, Sarah

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