alleinerziehend, Gesellschaft

Rona Duwe: „Mutterwut – Muttermut“ (Rezension)

Buchtitel „Mutterwut - Muttermut“


Was passiert, wenn eine Frau, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, ein Buch schreibt, das nach eigener Aussage nicht weniger will, als unsere Gesellschaft von Grund auf zu verändern? Ein Buch, in dem 170 Mütter ihre Wut in die Welt schreien über fehlende Anerkennung, Mütterarmut, institutionelle Gewalt und Diskriminierung? Ein Buch, das WUT und MUT von Müttern auf den Titel hebt und unverblümt deren Revolte fordert? Ich bekomme Herzklopfen. Werde neugierig. Und lese das Buch an zwei Abenden quasi in einem Zug durch. 

Mutterwut und Muttermut

„Ich bin wütend über die mangelnde Repräsentation von Müttern an Schaltstellen der Macht“, schreibt eine der zitierten Frauen. „Ich bin […] tief beschämt darüber, dass wir im 21. Jahrhundert noch auf ein Weltgefüge bauen, das im 19. Jahrhundert entstand und auf der Ausbeutung und Minderwertigkeit von Frauen und männlicher Dominanz [beruht]. Und enttäuscht darüber, dass wir uns dagegen so wenig wehren“, schreibt eine andere. Genau das aber tut Rona Duwe mit diesem zornigen Plädoyer gegen das Patriarchat und für mütterliche Stärke. So schreibt sie im Vorwort ihres Buches:

Weltweit ist es Mutterwut und Muttermut, die Kinder auch unter widrigsten Bedingungen leben und überleben lässt und mit aller Macht für Verbesserungen unserer Lebenssituation kämpft. […] Ich schreibe in diesem Buch vorwiegend darüber, warum es überhaupt dazu gekommen ist, dass Mütter bodenlos und abgrundtief empört und wütend sind […]. Ich möchte, dass uns klar wird: Das meiste, das wir als natürlich und normal empfinden, ist alles andere als normal.

Merkmale der patriarchalen Gesellschaft 

Tatsächlich ist es alles andere als normal, dass in Deutschland die Chancen von Kindern nach wie vor maßgeblich von ihrem Elternhaus abhängen, dass Mütter mit hoher Wahrscheinlichkeit Armut erleben – spätestens im Alter; dass Mütter am Arbeitsmarkt immer noch benachteiligt  werden und auch sprachlich oft nur „mitgedacht“ sein sollen; dass Mütter und Kinder in Familien körperliche und psychische und in Jugendämtern und vor Gerichten institutionelle Gewalt zu befürchten haben; dass Geburtsstationen geschlossen werden, Hebammenmangel herrscht und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, bedroht und verklagt werden. Dies nur einige der Punkte, die Duwe als Merkmale einer noch immer zutiefst frauen- und mütterfeindlichen Gesellschaft aufzählt. 

Wie Duwe zeigt, fordert unsere seit rund 6000 bis 8000 Jahren bestehende patriarchale Gesellschaftsordnung, die das Väterrecht und damit Besitz und Konkurrenz in den Fokus stellt, geradezu die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen und Kinder. Ein Arbeitsbegriff, der Fürsorgearbeit ignoriert, eine kapitalistische Wirtschaft, die auf Wachstum, Wettbewerb und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen beruht, patriarchale Familienstrukturen, die Frauen isolieren und auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren, sind ebenso Merkmale einer solchen Gesellschaftsform, wie Konkurrenzdenken und Abwertung unter Müttern selbst. Eine Geschichtsschreibung, die die Leistungen von Frauen und Müttern unterschlägt, eine Medizin und Pharmaindustrie, die kaum auf die Bedürfnisse des weiblichen Körpers ausgerichtet ist, und Weltreligionen, in denen Götter und Propheten stets männlich sind, tun ihr Übriges dazu, Frauen zu verunsichern und in ihrer Kraft zu schwächen. 

Mütter im Zentrum der Gesellschaft

Duwe argumentiert, dass all dies jedoch keinesfalls „natürlich“ ist. Vielmehr lebten Menschen offenbar bis vor etwa 6000 bis 8000 Jahren in „matrifokalen“ Strukturen, das heißt, in mütterzentrierten Clans, in denen Frauen ihre Partner frei wählten, Väter durch die Zeugung keine automatischen Rechte erhielten, und die statt auf Wettbewerb auf friedliche Zusammenarbeit setzten. Unser heutiges Bild der Urzeit vom umherstreifenden Jäger und der in der Höhle wartenden Frau wäre demnach völlig verzerrt und würde nur dem Zweck dienen, die Sage von der „naturgegebenen“ Passivität, Abhängigkeit und Unterlegenheit der Frau fortzuschreiben.

Wie aber ließe sich eine Gesellschaft gestalten, die Mütter – und damit auch ihre Kinder – schützt und stärkt? Eine Gesellschaft, in der Mütter selbstverständlich die Wertschätzung erfahren würden, die sie als Schöpferinnen menschlichen Lebens verdienen. In der Frauen und Männer einander aus freien Stücken lust- und liebevoll begegnen. Eine Gesellschaft schließlich, die den Menschen nicht zum Herrscher über die Schöpfung erklärt, sondern ihn als verbunden mit allen Mitgeschöpfen und auf Kooperation angewiesen versteht?

Forderungen für eine mütter- und menschenfreundlichere Welt

In zwölf politischen Forderungen zeigt Duwe, wie patriarchale Auswüchse bekämpft werden können. Unter anderem fordert Duwe die Berücksichtigung von Care-Arbeit im Renten- und Sozialversicherungssystem, eine Quote für Mütter in Führungspositionen und die Bekämpfung von Mütter- und Kinderarmut; außerdem die konsequentere Sanktion männlicher Gewalt und die Infragestellung rein biologisch bedingter „Vaterrechte“. Und schließlich die Abkehr von der Zerstörung der Natur und der kapitalistischen Ausbeutung unserer Lebensgrundlagen. Letztlich kulminiert die Botschaft ihres Buches in der Aussage: „Wenn es Müttern schlecht geht, geht es der Gesellschaft schlecht“. Wirtschaftliche Eigenständigkeit, sexuelle Selbstbestimmung und unterstützende Strukturen für Frauen und Müttern kämen allen zugute, die mit diesen zusammenleben und ermöglichten ein soziales Miteinander, das nicht von Leistungsdruck, Wettbewerb und Konkurrenz geprägt wäre, sondern von gegenseitiger Wertschätzung und Kooperation.

Duwes Buch in dieser relativ kurzen Rezension gerecht zu werden, ist gar nicht einfach. Das Themenspektrum dieses im besten Sinne „radikalen“, also Grundsätzliches hinterfragenden, Werkes ist zu umfassend, um es in wenigen Abschnitten komplett zu beschreiben. Als zweifache Mutter und selbst gesellschaftlich engagierte Frau beeindruckt mich der (Wage-) Mut, mit dem Duwe sich auf zum Teil brisante Themen einlässt und die Entschlossenheit, mit der sie den Alltagssexismus und die strukturelle Mütterfeindlichkeit innerhalb unserer Gesellschaft aufdeckt und hinterfragt. Ein wirklich spannendes Buch, das bereits jetzt für Kontroversen sorgt und hoffentlich noch viele Leser/innen finden wird!

Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.

Zur Autorin

Rona Duwe ist Grafik- und Webdesignerin, Feministin und Autorin. Sie betrieb drei Jahre lang den Blog phoenix-frauen.de, der häusliche Gewalt und Gewalterfahrungen alleinerziehender Mütter thematisiert und leitet zusammen mit Dr. Kirsten Armbruster das patriarchatskritische Herstory-History-Projekt, das unter anderem die Sichtbarmachung von Frauen in der menschlichen Frühgeschichte zum Ziel hat. 2020 war sie zudem eine der drei Frauen, die während des ersten Corona-Lockdowns unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb dazu aufrief, der Bundesregierung die zusätzliche familiäre Fürsorgearbeit in Rechnung zu stellen, die vor allem Mütter aufgrund geschlossener Kindergärten und Schulen neben ihrer Erwerbstätigkeit leisteten. Duwe ist alleinerziehende Mutter zweier Söhne und lebt in Hamm.

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[Foto: privat; ich danke der Autorin für das zu Verfügung gestellte Rezensionsexemplar. Der Beitrag gibt dennoch ausschließlich meine persönliche Meinung wieder und ist keine beauftragte Werbung.]

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