Gesellschaft, Politik

Höher, schneller, nicht mehr weiter… Wann bekämpfen wir endlich die Ursachen dieser Pandemie?

Sonderangebot Fleisch für 69 Cent.
Sonderangebot…

Kommen wir uns gerade vorbildlich vor, weil wir im Homeoffice arbeiten, unsere Kinder von der Kita abgemeldet habt, schon den Termin für unsere Corona-Impfung geblockt haben und nur noch online shoppen, um Kontakte zu vermeiden? Sorry, ich muss mal kurz polemisch werden…

Da wir ohnehin seit Monaten wegen der Infektionsgefahr nicht mehr mit Bus und Bahn fahren, haben wir unser Monatsticket zum Jahresende abbestellt. Ein großer Kaffeeröster bietet trotzdem weiter Fernreisen an. Vielleicht ist im Sommer der Kurztrip ja wieder erlaubt. Vorerst schicken wir unseren Lieben per Blumenpost Grüße (die Paketboten stellen kontaktlos zu) und ordern, da wir gerade online sind, noch schnell beim Versandgiganten A. die Frühlingsschuhe für die Kids. Dessen Umsatz weltweit ist im 3. Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahresquartal übrigens um rund 37 Prozent auf 96,15 Milliarden US-Dollar gestiegen (Angaben Statista). Auch vor der Haustür scheint alles fast normal zu sein: Die Fahrbahnen voll, im Supermarkt quellen die Regale über. Im Briefkasten das Sonderangebot: 1 Kilo Schweinefleisch für 3,99 Euro.

Wann ist uns die Bärchenwurst eigentlich wichtiger geworden als unsere Kinder?

Seit inzwischen fast einem Jahr isolieren wir unsere Kinder von ihren Freunden, gefährden ihre Bildung, verausgaben uns zwischen Distanzunterrichts-Betreuung und den Erwartungen unserer Arbeitgeber. Eltern ächzen, schließen sich zu Protestinitiativen zusammen – und machen dann doch weiter. Wir wissen ja, wofür wir es tun: das deutsche Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Zurecht will keiner die Gesundheit Hunderttausender gefährden. Zurecht wollen wir möglichst alles tun, damit diese Pandemie nicht noch viel mehr Menschenleben kostet. Wir befinden uns tatsächlich gerade in einem Ausnahmezustand. Einerseits. Und leben dennoch weiter wie bisher.

Würde es uns vielleicht mehr schockieren, wenn im Supermarkt die Bärchenwurst nicht mehr zu kaufen wäre? Wenn wir tatsächlich unser Klopapier dauerhaft rationieren müssten? Wenn wir online die neuesten Schuhe nicht mehr bestellen könnten? Oder wie ist es zu verstehen, dass wir weiter konsumieren wie die Irren, während doch eigentlich wirklich alle Zeichen auf STOPP stehen?

In der TAZ las ich kürzlich einen vermutlich gut gemeinten Kommentar: um die Corona-Maßnahmen durchhalten zu können, müssten auch mal „Cheat-Days“ erlaubt sein. Sich also mit mehr als einer Person treffen, anderen den Restaurantbesuch gönnen, sich nicht über die Passantin mockieren, die mit Hund und ohne Abstand an uns vorbeigeht.

Ja, Menschen, die nicht die Straßenseite wechseln, wenn wir ihnen entgegenkommen, sind gerade definitiv das größte Problem…

Seid nicht so hart zu euch, ihr habt es schwer genug

2,2 Milliarden Menschen weltweit haben aktuell keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Rund 785 Millionen Menschen haben noch nicht einmal eine Grundversorgung mit Trinkwasser (Angaben Unicef zum Weltwassertag 2020). Laut UN-Weltwasserbericht sterben jeden Tag (!) weltweit mehr als 800 Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten wie etwa Durchfall, die durch verunreinigtes Wasser oder mangelnde Hygiene hervorgerufen wurden. Das ergibt in einem Jahr laut UN-Bericht die unfassbare Zahl von 297.000 verstorbenen Kindern im Kita-Alter. Die Aufregung darüber hält sich in Grenzen.

Konsum = gutes Leben?

Eigentlich wäre es ganz simpel: „Decouple the idea of a good and meaningful life from ever-increasing material consumption“, so der Rat von 500 Wissenschaftler/innen aus 50 Ländern auf der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). Also die Vorstellung eines guten Lebens vom Konsum entkoppeln.

Durch unseren ungebremsten Konsum zerstören wir genau jetzt den Lebensraum der Tiere, die wiederum in Städten neuartige Infektionskrankheiten an Menschen weitergeben. So fassen Mediziner James Maskalyk und Umweltaktivist Dave Courchene die aktuelle Situation in einem Artikel des Online-Magazins „The Globe and Mail“ zusammen („A lack of healthy, natural habitat weakens the immune systems of animals and the resulting sicknesses pass rapidly through them. Birds, prairie dogs, pigs, bats. With each infection, a chance for a virus to mutate into one that can sicken humans, and sometimes, global livelihoods. As such, a vaccine alone, no matter how effective, will not tip the balance toward health because COVID-19 is not a disease; it is a symptom of an exhausted planet. The renewal of a healthy relationship to our one shared mother, planet Earth, is the cure“).

Ach, unsere gute Mutter Erde… Klingt ziemlich althippymäßig, oder? Und ein bisschen moralinsauer. Nicht so sexy. Und überhaupt: Bei all dem Stress zuhause können wir nicht auch noch die Welt retten. Lieber besorgen wir uns den neuen Bürostuhl, jetzt, wo wir im Homeoffice dauernd Rückenschmerzen haben. Zwei Clicks – bestellt. Immerhin haben wir niemanden über den Kontakt mit uns gefährdet. Wir legen noch die Empfehlung des Online-Händlers mit dazu: „Grün Shoppen“ (Titel erfunden). Einer muss ja was tun, jetzt, wo Greta und die Friday for Future-Kinder nicht mehr demonstrieren dürfen.

Grüße aus dem Homeoffice, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist Lehrerin, freie Autorin und Mutter eines Babys sowie eines Kindergartenkindes. 

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[Foto: Quelle unbekannt]

4 Gedanken zu „Höher, schneller, nicht mehr weiter… Wann bekämpfen wir endlich die Ursachen dieser Pandemie?“

  1. Dass wir mit unserem Konsum die Welt zugrunde richten, das ist tatsächlich nicht neu. Viele Familien versuchen ja inzwischen schon umweltbewusst und Low Waste zu leben. Aber es reicht natürlich noch lange nicht. Wir sind so wohlhabend und die Produkte so günstig, dass doch immer wieder konsumiert wird. Büroklammern kann man immer brauchen, dann hat das Kind eine zweite Regenjacke, das Portmonee ist aber auch süß… und schwupps, wieder hat man was gekauft. Es liegt aber auch nicht nur an uns. Die komplette Wirtschaft muss sich wandeln.

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    1. Liebe Nadine, ja, ich denke, ein Problem ist, dass das (Über-) Angebot die Nachfrage überhaupt erst erzeugt. Wie oft bin ich selbst schon aus dem Drogeriemarkt mit fünf weiteren Produkten nach Hause gekommen, wenn ich eigentlich nur Zahnpasta und Klopapier kaufen wollte…🙈
      Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass unsere (Wirtschafts-) Politik zulässt, dass Großunternehmen Gewinne weiterhin weitgehend privatisieren; Verluste werden aber in Milliardenhöhe aus Steuergeldern subventioniert. Das erzeugt meiner Meinung nach zurecht Unverständnis und Unmut. In einer sozialen Marktwirtschaft sollten diejenigen, die vom Markt profitieren eine andere Verantwortung übernehmen. Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel dieses Porträt der Augsburger Unternehmerin Sina Trinkwalder: https://www.businessinsider.de/wirtschaft/handel/so-meistert-ein-mode-unternehmen-ohne-staatshilfen-die-corona-krise-b/. Ich habe sie übrigens bereits vor zwei Jahren hier im Blog einmal porträtiert.🙂 Liebe Grüße, Sarah

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