Ist euch aufgefallen, dass jede Supermarktkette ihre ganz eigene Kundschaft zu haben scheint?
Während im Bio-Supermarkt bürgerliche Muttis Aronia-Saft und Vollkornbrezeln in den Wagen legen, versorgt sich beim Discounter schon mal der Herr in Ballonseide mit Wurst, Toastbrot und Schnaps. Vor Jahren hat mich diese Beobachtung sogar zu einem Gedicht angeregt:
„Abgelaufene Sohlen / gibt’s nicht zu Sanddornsaft
Im Bio-Laden will / Bio-Kind / Bio-Wurst / von garantiert glücklichen Rindern.
Gegenüber
Polyesterstoff über / groben Poren –
Armut zeigt sich / nicht nur in den Taschen.“
Klischee und Vorurteil
Aber wie immer bei Verallgemeinerungen ist der Weg zum Vorurteil nicht weit. Das merkte ich heute, als ich bei Netto mit der Dame an der Kasse ins Gespräch kam. Ausnahmsweise kaufte ich außerhalb der Stoßzeiten ein, sonst hätten wir uns sicher nicht unterhalten können. Denn die Besetzung scheint dort so knapp kalkuliert zu sein, dass neben dem Einräumen der Waren immer maximal zwei Kassen bedient werden. Ist viel los, wartet die Kundschaft eben – und die Damen und Herren an der Kasse schuften im Akkord.
So aber kam ich, wie gesagt, mit der Kassiererin ins Gespräch. Ich hob beim Bezahlen noch Geld ab, ein Service, den inzwischen ja viele Supermärkte bieten. Die Kassiererin erzählte mir daraufhin, dass sie kürzlich in Italien gewesen sei und das Abheben am Geldautomat dort 6€ gekostet habe. Das fand ich noch nicht ungewöhnlich. Sie wollte aber offensichtlich darauf hinaus, dass die Infrastruktur in Italien nicht (mehr) gut funktioniere. Ich fragte sie, ob sie selbst aus Italien komme und sie bejahte das: Sie sei aus Sizilien nach Deutschland eingewandert und froh, hier zu sein. Überhaupt fänden die jungen, gut ausgebildeten Menschen in Italien keine Arbeit mehr, würden dann z.B. nach Deutschland auswandern, während wiederum andere Einwanderer in Italien ihr Glück suchten, weil es ihnen in ihren Heimatländern noch elender ginge.
Globalisierung und Flüchtlingskrise
Während ich meine Einkäufe in die Taschen räumte, waren wir unvermittelt in ein Gespräch über die europäische Wirtschafts- und Flüchtlingskrise und die Folgen der Globalisierung vertieft.
Ich staunte – und verließ den Laden an diesem Tag sehr nachdenklich: Hatte ich tatsächlich geglaubt, nur wer „nicht viel aus seinem Leben mache“ und sich für wenig interessiere, lande im Supermarkt an der Kasse? Autsch – Vorurteil!… Vor allem aber verdeutlichte mir die kurze Begegnung eins: was für ein Zufall – und welches Glück – ist es, dass ich und mein Kind auf der „sonnigen Seite“ der Welt geboren wurden. Sonst säße ich – auf der Suche nach einer bezahlten Arbeit, oder gar auf der Flucht vor Gewalt und Unterdrückung – vermutlich jetzt selbst in einem fremden Land an der Kasse – und zahlte dort nicht mein Biobrot.
Herzliche und nachdenkliche Grüße, Sunnybee
Guter Text liebe Sunnybee.
Ich habe gestern zu einem ähnlichen Thema geschrieben: Alleinerziehend als Migrantin in Deutschland. Auch da kämpft man gegen viele Vorurteile: https://www.getrenntmitkind.de/details/kulturelle-vielfalt.html
Ein schönes Wochenende wünscht dir
Christina
LikeLike
Liebe Christina, danke! Ich habe gerade auch deinen Artikel gelesen, gefällt mir SEHR! Sehr informativ und zugleich persönlich geschrieben. Ich finde sehr interessant, was du zum Umgang mit Kindern schreibst: dass dieser auch ganz klar durch die Kultur geprägt ist, in der die Eltern aufgewachsen sind. Freue mich über unseren Austausch, (nicht nur) als Autorinnen!😉 Herzlichen Gruß, Sunnybee
LikeLike